Farman
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...oder ein Regisseur in Schwierigkeiten.
Sehr schade, das Teil. Ich bin kein Fan von spontan abrufbaren Meinungen, denn derer hat man nach einiger Filmerfahrung immer unzählige auf Lager, denen man auch immer eine gefeilte Rhetorik und eine in sich geschlossene Argumentation verleihen kann. Aber Routiniertheiten sind meine Sache nicht. Also will ich mal kein "Mensch, nu iss aber ma gut, Keule" in Richtung David Lynch loswerden, da er's ja ohnehin nicht lesen wird und es auch keinen Sinn macht.
Szenenwechsel: Als Orson Welles Anfang Sechziger seine Kafkaverfilmung "Der Prozess" auf die Leute losließ, dachten alle auch, der Kerl sei verrückt geworden und der Film sei panne. Heute ist das Teil -zumindest aus meiner Sicht- ein absolutes Meisterwerk und Welles in Perfektion.
Aber Lynch kann filmen was er will, diesen "Der ist panne"-effekt kann er kaum noch erreichen. Inland Empire war für mich vor allem eines: total kalt.
Bei aller Experimentierfreude scheint er anscheinend zu vergessen, dass er eigentlich ein genialer Entertainer ist wie Hitchcock oder Hawks in den Zeiten, aus denen seine Inspirationen hauptsächlich stammen. Vieles, was seinen Filmen ihre Magie verlieh, war immer diese ganz spezielle amerikanische Aura, das bewusste Walten in ausgelutschten Genreterrains, weil sie so viel Spaß bringen und dabei so bedeutungsvoll sind.
Ich hab Mulholland Drive geliebt, weil er einer der herzzerreißendsten Liebesgeschichten aller Zeiten und ein zutiefst menschlicher Film für mich war. Ihn anzuschauen ist für mich eine emotionale Wucht und gleichzeitig für mich ein Heimspiel, da es keinerlei Anstrengungen hat. Es ist wie ein Lieblingslied, dass man immer wieder hört und das immer wieder neu ist, es wirkt in seiner scheinbaren Unmelodisch- und Sperrigkeit in Wirklichkeit ungeheuer harmonisch. Ich sehe in dem Film keinen mindfuck mehr und keine Diskontinuität, ich sah es eigentlich beim ersten Anschauen schon nicht so. Das scheint David Lynch wohl gestört zu haben.
Inland Empire ist relativ penetrant mit all seinen McGuffins und irgendwie auch recht unsubtil. Großartige Momente, in denen man erkennt, wie es zusammenpasst und wie einleuchtend und irgendwie sensationellerweise relevant und wichtig das ist, dass das jetzt zusammenpasst, zumeist aber leere Momente, deren filmischer Reiz darin besteht einfach weiter zu sehen, was für eine Kameraeinstellung, Doppelung, Farbenspiel, Anspielung, Montage, Mise en Scene oder was auch immer Lynch sich als nächstes ausgedacht hat. Inland Empire ist für mich so wie eine Lichtshow oder ein monatelang orchestriertes, pompöses Feuerwerk. Es hat stimulierende Momente, ist intellektuell fordernd in der Hinsicht, wie der Zusammenhang zwischen Orchestrierung und Reizüberflutung und einem vielleicht dahinterliegenden Sinn ist, irgendwie lässt mich das aber auch kalt. Ich fand den Film tatsächlich nur selten erschreckend und (schock) nicht mal witzig, obwohl es so viele Momente gab, über die man hätte lachen können.
Mulholland Drive mochte ich wegen seiner intensiven, menschlichen Liebesgeschichte, den ebenfalls genialen Lost Highway mag ich vergleichsweise weniger, weil er eben keine solche Geschichte hat und etwas kälter ist, Blue Velvet und Wild at Heart liebe ich ebenfalls wegen ihrer Menschlichkeit (Wild at Heart ist eine einzige Freakshow und viel irritierender als Inland Empire) und "Fire walk with me" war ein einziger verstörender, genialer Alptraum. Das Problem an Inland Empire ist imo, dass man in jeder Szene zumeist die in der Szene "wichtigen" Elemente (allesamt McGuffins, Sachen, die nichts bedeuten außerhalb dieses Filmuniversums) erkennt und sie oft auch recht unsubtil sind (sein müssen), das innerhalb der Geschichte aber keinen Nährboden für imo tiefgründige Rätselhaftigkeit gibt, sondern Gedankenspiel bleibt, imo. Sicherlich faszinierendes Gedankenspiel, das uns viel zu sagen hat über Hollywood und Europa, Glamour und Elend, die für jegliche erhabene menschliche Fantasie zerstörerische Realitysucht heutiger Medienkonsumenten, den Zusammenhang zwischen medialer Erfahrung und authentischer Erfahrung, blablabla. Aber das meiste wirkt nicht nur im Lynch-Universum, sondern sogar teilweise außerhalb davon klischeehaft und holzschnittartig. Imo hatte "The Straight Story" viel mehr Mystery (ein völlig falsch bewerteter Film, imo).
Lynchs Filme sind ja nichtmal streng antinarrativ. Wenn man sich Filme von Europäern wie Godard, Antonioni oder ähnlichen anschaut, dann sind die oftmals sehr viel antinarrativer, nur juckts da keinen, die Geschichten nachzuerzählen. Lynchs Filme leben von dem Mysterium über das, was gerade passiert ist und welchen Sinn es innerhalb der Films hat, wie bei Hitchcock, dem Meister des Plots (Plot im doppelbödigen Sinne des englischen Worts). Verliert man das Interesse an den Zauberstücken, verliert der Film viel.
Das ist aber alles erstmal provisorisch, ich werde dem Film eine zweite Chance geben, und, schlecht ist er um Gottes Willen nicht. Er hatte viele einnehmende Momente, aber die hatte "Dune" auch. Bei beiden hat es mich aber leider nachher nicht mehr gejuckt, was genau ich gerade gesehen habe, im Gegensatz zum (durchweg mehr als meisterlichen) Rest des Genies.
@Vince: Sausack, dass du das auch noch prognostizieren musstest... ich hatte jetzt mit dem exakten Gegenteil gerechnet. Hasse es, vorhersehbar zu sein.
Edit: Mir gefiel die hochgelobte Optik des Streifens übrigens, wen wunderts, eher nicht.
(Diese Nachricht wurde von Farman am 13.02.2008 00:55 editiert.)
__________________ Ich vermag natürlich besser zu dichten, als wie's hier geschieht. Ich spare mich für später auf. |
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