Antwort auf: Dieser Fulm is... (IV) von Khytomer

crizzo
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Ich wollte hier eigentlich nicht mehr posten, aber vielleicht juckt's ja jemanden, der sich nicht zu den Filmvisionären rübertraut...



Watchmen

Ich bin mit den höchsten Erwartungen reingegangen und wurde nicht enttäuscht. Bereits nach dem minutenlangen, schlichtweg genialen Zeitlupen-Gemälde-Intro, als die Vorgeschichte der Minutemen präsentiert und der Film in das Zeitalter des Kalten Krieges platziert wird, hatte der Film für mich den Meisterwerk-Status erreicht und rückte während der 165 Minuten kein Mal mehr von diesem Status ab. Regisseur Zack Snyder ist die großartigste Comic-Verfilmung aller Zeiten gelungen, die man aufgrund des implizierten Anspruchs noch vor "300" einordnen muss. Das Maß aller Dinge, welches mit Genre-Vertretern wie "Spider-Man", "X-Men" und auch "Batman" den Boden aufwischt.

Was man während des Films erlebt, ist absolut gigantisch. Der Film hat Sex, Brutalität, Sarkasmus, Ironie, Philosophie, Humor, Action und Politik zu bieten und fährt atmosphärische Erlebnisse auf, die man nicht mehr vergisst. Mir haben sich etliche Szenen ins Hirn gebrannt. Die Intensität des Gezeigten hat mich zwischenzeitlich erschlagen. Grund dafür sind nicht nur die bombastischen Slow-Motion-Sequenzen und panelgenauen Kameraeinstellungen, sondern vor allem der wundervolle Soundtrack. Besser kann man Gefühle mit Musik und Bildgewalt gar nicht vermitteln. Zudem - und das ist die einzigartige Qualität des Films - präsentiert Snyder hier die ambivalentesten Charaktere der Comic-Geschichte mit all ihren Fehlern, Macken und Menschlichkeiten. Wundervoll. Hier gibt es nicht nur Gut und Böse. Anstatt dieser platten Polarisierung gibt es eine in sich verwobene Koexistenz beider Ausrichtungen in sämtlichen Figuren. Und dann gibt es noch das gottgleiche Neutrum, was zum Großartigsten gehört, was ich jemals auf der Leinwand gesehen habe. Dieses Wesen erahnt höhere Gewalten im Voraus, hinterfragt die Schöpfung des Lebens und erkennt das Ende aller Tage...

Die Rede ist natürlich von Dr. Manhattan. Und so plump dieser Name auch klingen mag, so faszinierend und über alle Maßen erhaben ist diese Figur. Es gibt nichts, was er nicht kann. Er kann sich um ein Vielfaches duplizieren und in gigantische Ausmaße vergrößern, sich selbst und andere an jeden erdenklichen Ort im Universum teleportieren und jedwede Molekularstruktur auflösen. Mit bloßen Gedanken zerfetzt er alles, was sich ihm in den Weg stellt. Und bei all der Macht, über die er verfügt, strahlt er diese entwaffnende Ruhe und Neutralität aus. Er ist sich seiner Verantwortung bewusst und wägt jeden Schritt ab... und dennoch ist er nicht unfehlbar. Dieses Wesen muss man erlebt haben.

Auch Ozymandias, Night Owl, Silk Spectre, Comedian und vor allem Rorschach, grandios gespielt von Jackie Earle Haley, haben mir richtig gut gefallen. Die Darsteller sind perfekt ausgewählt und zeigen ausnahmslos ihr Talent. Die Kostüme sind klasse, das Make-Up ebenfalls. Das größte Ärgernis war in der Tat die lächerliche Knollnase von Richard Nixon. Die wirkt leider total unecht und erinnert eher an Gerard Depardieu als an den 37. Präsidenten der USA. Ein optisches Malheure, was in Anbetracht des gewaltigen Gesamtwerks allerdings keinen Punktverlust kostet.

Denn der Film ist tatsächlich das erhoffte Meisterwerk und der erwartete Meilenstein in der Geschichte der Comic-Verfilmungen geworden, an dem sich genrebezogen zukünftig alles messen muss. Zack Snyder serviert ein audiovisuelles Feuerwerk, welches zudem wunderbar anspruchsvolle Denkansätze beinhaltet, und katapultiert nach "300" den nächsten Kracher in meine persönliche Rangliste der besten Streifen aller Zeiten. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber er macht es perfekt.

10/10



Gran Torino

Clint Eastwood ist ein grandioser Regisseur. Gerade seine hervorragenden Dramen in den letzten Jahren haben seine ganze Erfahrung und sein Fingerspitzengefühl für Zwischenmenschliches zum Ausdruck gebracht und sind Zeugnis eines bemerkenswerten Altwerks einer wahren Größe Hollywoods. Nun nimmt Eastwood nicht nur auf dem Regiestuhl platz, sondern erscheint erstmals seit "Million Dollar Baby" wieder vor der Linse und spielt auf seine alten Tage nochmal richtig groß auf.

Der verbitterte Nationalist und Kriegsveteran Walt Kowalski dürfte eine seiner markantesten Figuren überhaupt abgeben. Nach dem Tod seiner Frau lebt er nur noch vor sich hin, redet mit seinem Hund und starrt mürrisch nach nebenan, wo eine asiatische Familie lebt. Sein Gebrabbel enthält viele menschenverachtende Äußerungen und Klischees, die ihn eigentlich nicht sehr sympathisch machen. Trotz allem wird sein verkrustetes Rentnerdasein durch einen alles verändernden Zwischenfall aufgebrochen, in dessen Folge er auf seine alten Tage doch noch einmal neue Sichtweisen kennenlernen und längst ausgegrenzte Menschen ins Herz schließen muss.

Die Rührseligkeit, mit welcher der menschliche Eisberg nach und nach taut, ist kaum in Worte zu fassen. Umso bemerkenswerter, dass es eine Vielzahl an humorvollen Momenten im Film gibt. Die fäkalwortbehafteten und größtenteils ausländerfeindlichen Äußerungen nimmt man Walt überraschenderweise nicht sonderlich übel, sondern belächelt sie etwas erschrocken. Auch wenn dem Ganzen ein sehr ernster Unterton zukommt, so erkennt man doch frühzeitig, dass Walt Kowalski kein schlechter Mensch ist. Jedenfalls ist er nicht nur schlecht, auch wenn er im Krieg schlimme Dinge getan hat. Dinge, die ihn verfolgen und nicht mehr loslassen. Doch dann erkennt er den Moment, in dem er Buße tun und sich für eine letzte gute Sache einsetzen muss, damit die gut erzogene Jugend eine faire Chance bekommt.

"Gran Torino" ist einmal mehr ganz großes Kino von und mit Clint Eastwood. Der Film hat den für ihn typischen dramatischen Anspruch, schneidet sozial- und kulturpolitische Probleme mal dezent, mal sehr aufdringlich an, stellt einige Glaubensfragen in den Raum und setzt die Menschen und die Idee vom Sinn des Lebens über alles andere. Es ist nie zu spät sich zu ändern. Es ist nie zu spät für eine gute Tat. Und es ist nie zu spät für Menschlichkeit.

9/10



Slumdog Millionär

Danny Boyle hat mit einem gänzlich unbekannten und sicherlich nicht grenzenlos talentierten Schauspieleraufgebot einen wirklich bemerkenswerten Film über Indien und insbesondere Mumbai gedreht. Man hat an manchen Stellen tatsächlich das Gefühl, dass man die Kultur einatmen oder schmecken kann. Klasse sind besonders die gewagten Blickwinkel, die viel mehr aussagen, als es das Bild oberflächlich transferieren kann. Das sind cineastische Genussmomente.

Allerdings gibt es Augenblicke, an denen es zu wild wird. Die Kamera wackelt dann unnatürlich viel und wirkt überdynamisch. Scheinbar gab es Momente, wo Boyle zu viel wollte und dann im wahrsten Sinne des Wortes etwas überdreht. Manche Szenen macht aber gerade diese bewegliche Kamera wiederum erst richtig genial, wenn sie sich an das Gezeigte etwas sanfter anschmiegt und den Zuschauer direkt am Geschehen teilhaben lässt. Dann wird man in einen vor allem musikalisch großartigen Bilderstrudel gesogen, dem man kaum entkommen kann. Ein grandioses Beispiel dafür dürfte die vom wirklich einzigartigen Song "Paper Planes" von M.I.A. unterlegte Zugfahrt von Salim und Jamal sein, die mit zu den schönsten audiovisuellen Kompositionen gehört, die ich je bei einem Film erlebt habe.

"Slumdog Millionaire" ist definitiv eine Perle im verhältnismäßig seichten Gewässer der kulturell anspruchsvollen Hollywoodfilme und bleibt bereits nach einmaliger Betrachtung unvergesslich. Zu aufrichtig ist die mit einer bezaubernden Naivität vorgetragene Geschichte. So entsteht vor dem gewaltigen Hintergrund einer pulsierenden, global integrierten, aber sozial fragmentierten Megastadt ein modernes Märchen über Wahrheit und Schein und die schicksalhafte Verbindung von beidem, nämlich die Liebe.

8/10

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