Antwort auf: Zuletzt gesehen von Travis

crizzo
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Heute habe ich mir endlich mal wieder einen Kino-Tag gegönnt. Und belohnt wurde ich mit zwei überraschend guten, aussagekräftigen Filmen zweier offensichtlich sehr talentierter Regisseure. Beide waren für einen Studenten der Anglistik und Amerikanistik wirklich interessant, für einen Geographen geradezu genial. Da ich beide Fächer belege, für mich ein gefundenes Fressen.  


Machtlos

Gelungene Studie über die verschiedenen Interessensgebiete aller Beteiligten, wenn ein Einzelschicksal seine Wellen schlägt. Hier etwas höher, dort etwas niedriger. Aber unbemerkt bleibt es nicht.
Ein Ägypter mit Greencard, verheiratet mit einer hübschen, schwangeren US-Staatsbürgerin und bereits Vater eines Sohnes, soll Informationen an Terroristen weitergegeben haben und wird an einem Flughafen vom CIA (nennen wir es mal) verhaftet, leugnet dies aber glaubhaft, besteht sogar den Detektortest. Was der CIA-Chefin aber nicht ausreicht. Also mal eben in den Flieger nach Ägypten gesetzt. Zur Folter. Denn "die USA foltet nicht"...

Oscar-Preisträger Gavin Hood spinnt bis zu diesem Punkt und vor allem danach eine hochinteressante Sichtweise auf die Außenpolitik der USA seit dem 11. September zurecht, die unzählige (Gewissens-)Fragen aufwirft und den Zuschauer nach seinem eigenen Meinungsbild befragt. Ein Film, der als idealer Diskussionseinstieg brilliert, wenn es um die zulässigen und eher fragwürdigen Mittel und Wege der Terroristenjagd geht. Da mir etliche Gedanken nach diesem Film durch den Kopf schossen, empfand ich dieses Merkmal als ganz starke Qualität des Films.

Streep, Gyllenhaal, Witherspoon und Sarsgaard spielen wie auch der Rest des Casts gut, wenn auch zwischenzeitlich recht zurückhaltend. Manches hätte ich mir dennoch überzeugender und etwas ausdrucksstärker gewünscht. Vielleicht schwächelt da aber auch das Drehbuch. Oder es ist einfach pure Absicht. Dennoch begeisterte mich der Film durch seinen Rundumblick auf das Thema Terrorismus und lässt nach dem ebenfalls sehenswerten, aber wesentlich pathosgeschwängerteren "Operation: Kingdom" wesentlich weniger Haare am amerikanischen Kopfschmuck. Für mich ein Film auf hohem und vor allem reflektierendem Niveau.

Wertung: 9/10

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The Hunting Party

Richard Gere ist zurück und das richtig unterhaltsam. Als abgehalfteter Journalist, der seine beste Zeit lange hinter sich hat, überzeugt er in einem Film, der eben so ernst, wie unterhaltsam ist. Dabei lässt er sogar Terrence Howard ein Stück weit hinter sich, der ja irgendwie immer sensationell gut spielt. Bemerkenswert ist, wie Regisseur Richard Shepard fesselnde Spannung an entlastenden Humor knüpft. Eine Mischung, die ihm laut diverser Online-Kritiken ja schon bei dem mir noch unbekannten "Mord und Margaritas" gelungen sein muss. Wie oft man als Zuschauer hier mit spürbarer Todesangst der Darsteller konfrontiert, dann aber wieder mit einem Anflug von Fäkalsprache und geradezu schusseligen Zufällen maltraitiert wird, ist schon ganz große Kino-Unterhaltung. Hier und da gibt es zudem einen wirklich erfrischenden Spritzer Ironie in diesem so seriösen Thema. Fantastisch.

Es ist also einmal mehr die Mischung, die es ausmacht. Ernst, interessant, dramatisch, witzig, skurril, menschlich. So wird mit "Hunting Party" also das kritische Thema der internationalen Außenpolitik gewisser Länder angeschnitten, welches so noch nicht gezeigt wurde. Es wird also nicht nur auf der USA, sondern vor allem auf der NATO rumgehackt. Ist mal was Anderes. Auch ist Bosnien-Herzegowina ein spannender, authentischer Schauplatz für so ein Projekt. Ethnische Ungerechtigkeit, politisches Desinteresse an den dortigen Gegebenheiten und die immer noch brutale Gegenwart werden hierbei spurenhaft visualisiert. Und das komischerweise auf eine sehr unterhaltsame Art, da - wie im Abspann gestanden wird - einige reale Quellen etwas arg überzogen dargestellt wurden. Andere wiederum seien aber geradezu identisch mit den wahren Vorbildern.

Davon mag man halten, was man möchte, aber dies ist im besten Falle die finale Kosmetik an einem Film, der bereits von Beginn an Ernsthaftigkeit einfordert, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. Klingt komisch, ist es ja auch. Irrwitzig und dennoch authentisch. Ein gelungener Kontrast, den Shepard immer wieder in seinem Film aufbaut. Einmal fühlt man sich inmitten eines Polit-Thrillers par excellence, ein anderes Mal wähnt man sich in einem Buddy-Movie-Roadtrip durch Osteuropa. Einfach klasse! Wer mit "Lord of War" etwas anfangen konnte, wird auch hierbei auf seine Kosten kommen, wenn auch etwas weniger zynisch. Gere und Howard sorgen jedenfalls für ordentlich Kurzweil und Spannung zugleich, soviel ist sicher.

Wertung: 9/10

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Bin also sehr positiv überrascht und werde mir beide Filme in die Sammlung holen müssen. Für mich sind das definitiv zwei kleine Perlen in der momentan eher tristen, anspruchslosen Kinolandschaft, auch wenn filmstarts.de beide mit durchschnittlichen 5/10 Punkten bedachte. Ich sehe da wesentlich mehr in den beiden Streifen.

(Diese Nachricht wurde von crizzo am 05.12.2007 11:28 editiert.)

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