Farman
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Mitglied seit: 31.10.07
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>Gut verkauft hat der sich aber nicht. Für einen NRW-Schülersprecher fand ich seinen Beitrag recht schwach. Ja, auch für einen 19-Jährigen.
Als diese verdammte Vollpfeife angefangen hat zu stammeln hab ich die Diskussion (wie so oft bei Hart aber Fair) verlassen und bin lieber in mein Zimmer hochgegangen um mit nem Kollegen Pro Evo zu zocken. Meine Güte.
>der Bosbach fällt mir immer wieder positiv auf.
Bosbach ist ein Arschloch, aber eins das reden kann, was 90 % der Leute bei Hart aber Fair und allem anderen Krimskrams nicht können. Es ist mir immer wieder unglaublich, wie mechanisch und derivativ und rhetorisch selbst die extremsten Emotionen in diesen Sendungen wirken. Da ist Bosbach, wie auch Michel Friedmann, ein anderes Arschloch, ein Funke an Authentizität.
Plasberg ist auch nicht frei von Kritik. Der Mann legt desöfteren eine völlig unangebrachte und ihn sehr entlarvende Pseudo-Smartheit an den Tag, für den ich ihn gerne mal persönlich zur Rechtschaffenheit ziehen würde. Das für mich bis heute verstörendste Beispiel: In einem der unzähligen Gespräche über die Wirtschaftskrise, die ich auch nur mittelmässig verfolge (Dafür fehlen mir die Nerven genauso wie die Eier, leider), diesmal bei Hart aber Fair, gibt es wieder mal Hoffnung auf ein Steigen der von mir so definierten Authentizitätskurve, nachdem der übliche Schmarrn zu Anfang kam, auch die übliche künstliche Kontroverse, bis zu einem Moment, wo alles plötzlich stillsteht: Ein CDU-Politiker mit einer vergleichsweise sehr linksgerichteten Auffassung fragt ein Mitglied eines Wirtschaftsverbandes, der natürlich sehr unter Beschuss stand und selbstverständlich (was bleibt ihm auch anderes übrig) die Verhältnisse und die Ursachen relativieren wollte (mit Argumenten über die Natur unseres Wirtschaftssystems), nach einem Ausweichversuch plötzlich die so simple wie so vergessene und hinweggeschwafelte Frage: "Glauben Sie, unsere Wirtschaft oder oder die Weltwirtschaft sollte auf einer ethischen Grundlage beruhen?". Diese Frage war eine Heldentat, und sie war so ehrlich und aufrichtig gestellt, dass man hätte blind, taub und seelisch zurückgeblieben sein müssen, um ihre Wichtigkeit nicht zu sehen, zu hören oder zu fühlen. Das Mitglied des Wirtschaftverbandes, sehr in seinem Fluss gestört, schaut bloß (mit einem kaum näher zu definierenden Blick) und alles schweigt für ein paar sehr wichtige Sekunden. Die ganze Rollenverteilung der Diskussion wird verändert, die Frage hat die selbe Wirkung als hätte das jetzt ein Kind gefragt, wenn ein erfahrener Politiker sagt "Moment Mal, verstehe ich dieses Gespräch oder die Politik überhaupt noch?" und nach einer Erklärung verlangt. Das sind Momente in denen man eine Diskussion transformiert, und es wär in eine andere, in eine bessere Richtung gegangen. Das mindeste, was wir da als Zuschauer verlangen können, ist wohl die Antwort des Wirtschaftstypen zu hören.
Aber es sollte nicht sein. Plasberg unterbricht dieses laute Schweigen, indem er dem CDU-Mann vorhält "Nana, das ist doch aber jetzt eine rhetorische Frage". Und alles wieder in die bestehenden Formen lenkt. Der CDU-Mann reagiert sanft aber empört "Bei einer rhetorischen Frage kennt man die Antwort bereits, bei meiner Frage kenne ich die Antwort nicht". Es ist schwer zu einzuteilen, was da eher der Schlag in die Magengrube oder eher der dazugehörige Tritt in die Eier ist, Plasbergs fehlende Bildung, die Tatsache, dass er nicht weiß, was eine rhetorische Frage ist, oder seine fehlende Kultur, die Art und Weise, wie er die Natur eines Gespräches in seinem Verstand verarbeitet. Man stelle sich mal vor im dritten Reich hätte jemand gefragt "Ist es wirklich ethisch vertretbar, Juden in eine Gaskammer zu schicken?" und jemand hätte geantwortet, "Ach komm schon, das ist doch jetzt eine rhetorische Frage". Genau der Frage, deren Beantwortung die entscheidenden Konsequenzen auf das reale Geschehen hat, die Kraft zu nehmen, das ist nicht mehr und nicht weniger als ein moralisches Verbrechen. Was ich da bei Frank Plasberg erlebt habe ist die Veranschaulichung eines moralischen Ground-Zeros, der blankeste Zynismus überhaupt, gehüllt in informative Sachlichkeit, investigativen Journalismus und scheinbaren Wissensdurst, es kam wie ein unerwarteter, hässlicher Moment der Erleuchtung.
Und dieses moralische Ground-Zero ist die gesellschaftliche und menschliche Verfassung, in dem sich dieses Drama von Vorgestern abgespielt hat, und zwar an allen Ecken und Enden und man ist selbst mittendrin und fühlt sich ohnmächtig. Wie es auf dem Titel eines bekannten Buches heißt, leben wir in einer Gesellschaft des Spektakels, Spektakel als eine meist sehr laute machmal aber auch subtile Form, das Leben in einfach konsumierbare Einzelsegmente zu zerteilen und uns damit gegenseitig dumm zu machen. Das gilt genau so für Gamer, die nach einem Amoklauf scheinbar über nichts anderes denken als über ihre geliebten Games. Genau so für scheinbar Progressive Köpfe, die das ganze gleich in einer besonderen Entwicklung gewurzelt in einer Ursuppe aus Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und unzähligem abstraktem Zeugs sehen und durchscheinen lassen, dass es die Mühe gar nicht lohnt, es mal etwas konkreter anzugehen. Und für alle Bild-Leser. Ich frage mich, was atemberaubender ist, den Amokläufer anzufeuern und zu sagen, er habe auf etwas aufmerksam machen wollen, oder kühl und nüchtern zu sagen, seine Tat sei ein exakter Ausdruck von einer klar bestimmbaren Unzufriedenheit über Dinge, für die er nichts könnte. Es ist dumm, so etwas zu sagen. Wenn ein Junge als Kind misshandelt wurde, später als Erwachsener selber ein Vergewaltiger oder Mörder wird, dann meinen Leute schnell, man könnte jetzt sagen, das eine sei eine exakte Ursache des Anderen. So wird ja ständig argumentiert, und das ist atemberaubend, atemberaubend dumm. Derjenige, der das sagt, der gibt dem Vergewaltiger Recht. Und derjenige, der sagt, ein Amokläufer hätte seine Gründe, der gibt dem Amokläufer Recht. Es gibt Gründe, nichts kommt von nichts, es gibt eine Dynamik zwischen Täter und Opfer, aber diese Gründe sind nicht seine Gründe und eine einwandfreie Kausalität zwischen unterdrückt und ausgegrenzt werden und mit einer Waffe wahllos auf Leute zu schießen gibt es nicht. Denn wenn es sie gäbe, müssten wir uns alle gegenseitig umbringen.
Ich hab hier weiter unten sogar gelesen, dass das ein klarer Racheakt war gegen Leute, die ihn ausgegrenzt haben. Was soll der Scheiss? Der Junge hat seinen unfreiwilligen Kutschierer und einen Gärtner wahllos erschossen. Also Rache gegen wen? Die Welt hat ihn ausgegrenzt, also Rache gegen die Welt? So eine gequirlte Scheiße.
Ich kann erst anfangen, über Gründe zu reden, wenn ich akzeptiere, dass ein solcher Amoklauf ein Ausdruck von keinerlei derartigen "Gründen" ist und keiner "seine Gründe" hat, so etwas zu machen. Ich kann jetzt nen Baseballschläger rausholen und draußen überall Leute zusammenschlagen, dafür gibt es vielleicht Gründe, aber dafür hab ich bestimmt nicht meine Gründe. Wenn die RAF eine Bombe in ein Kaufhaus gelegt hat, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, dann hatte die RAF deswegen ganz bestimmt nicht ihre Gründe, denn das Töten von Unschuldigen kann kein Ausdruck von Unzufriedenheit über das Töten von Unschuldigen sein, genau so kann kein Rumschießen auf schwächere (nicht bewaffnete) ein Ausdruck von Unzufriedenheit über die Ausgrenzung von Schwächeren sein. So ein Quatsch, was bloß gemacht wird, ist das Prinzip des Stärkeren fortzusetzen und zu bestätigen. Was gemacht wird, ist die Welt so zu akzeptieren wie sie scheinbar ist und sich zu fügen. Der Amokläufer ist nicht gegen uns, er bestätigt uns. Wer also besonderes Mitleid für den Amokläufer im Vergleich zu seinen Opfern hat, das heißt das Recht des Einen Opfers, das sich inszenieren konnte und zum Star gemacht hat gegen die vielen anderen Opfer, die als anonymes Kanonenfutter endeten und in die Müllhalde der Geschichte eingehen werden, das heißt also, in seiner Verteilung des Mitleids nochmal das Recht des Stärkeren (des Amokläufers) bestätigt, dem sei gesagt, das seine Form von Mitleid die perverseste und die nichstwürdigste Form von Mitleid ist. Sicher, Hitler oder Mao waren bestimmt auch Opfer, es geht nicht darum, das zu bestreiten, sondern es in ein adäquates Verhältnis zu setzen.
Ich sehe auch nicht ein, Waffen als Ursache etwa niedriger einzustufen als Arbeitslosigkeit. Selbstverständlich wurden die Amokläufe auch von den Waffen gemacht. Selbstverständlich werden die Kriege auf der Welt von Waffen gemacht. Von den genannten Sprüchen ist "Guns kill people" tatsächlich der adäquateste, adäquater noch als "People with guns kill people". Eine Schusswaffe hat etwas wie eine Eigendynamik und ist kein Ausdruck sondern mindestens genau so sehr auch eine Ursache von Machtgefühl und erhält dadurch eine Macht die keineswegs der bloßen Entscheidungskraft eines Einzelnen unterzuordnen ist. Wie jede andere Waffe auch, auch ein Stock. Aber eine Schusswaffe oder die modernen Waffen generell sind da noch etwas besonderes. Es gibt einem das Gefühl, auf einen Knopf zu drücken und alles, was dann passiert, passieren zu lassen. Die Hisbollah, Hamas oder Israel oder die USA würden kaum mit Gewalt Politik machen können, wenn es das Prinzip der Waffe nicht gäbe: Wegen meinen politischen Interessen drücke ich ab, was dann passiert lässt sich nicht vermeiden. Wegen meinem Frust baller ich rum, der Rest ist bloß die notwendige Folge. Klar, die Atombombe war nicht der Grund für die Toten in Hiroshima, bloß die Amis. Das nenne ich mal putzig, die Waffenindustrie würde sich freuen.
Das wichtigste bei dieser Frage nach dem Grund ist die einfache Tatsache, dass ein Amokläufer amokläuft, weil er es kann (und je mehr Leute sehen, dass es andere können, desto selbstverständlicher wird das). Das ist das Prinzip aller Form von Macht, das zu machen, bei dem ich sehe, dass ich es kann. Hier kommt die Frage nach Kollektivschuld ins Spiel, nicht bei abstrakten Banalitäten, sondern in dieser Frage: Wo genau scheitert unsere liebe Gesellschaft darin, dem Einzelnen beizubringen, dass er trotz der Erkenntnis, etwas machen zu Können, sich gegen die Macht und für die Vernunft entscheiden soll? Die erste Antwort liegt für mich ganz klar zu Tage: In den unzähligen Verlockungen, die wir in unserer Gesellschaft für alles Mächtige haben. Die Prominenz, die von den Medien verbreitet wird, oder die Schusswaffe, die von der Waffenindustrie hergestellt wird, sind nicht weniger ein Teil des Ganzen als die zerstörerischen Auswirkungen verantwortungsloser Machtausübung im Alltag, wie das Ausgrenzen von Schwächeren. Es ist eine Kette und eine Weiterreichung und ein Umhergreifen von Macht und Machtausübung, wie beim Impuls in der Physik, und nicht von Motiven, wie es hier in dieser Diskussion wirkt. Das ist völliger Unsinn, den wir von GZSZ und schlechten Nachrichten und Hollywood beigebracht kriegen.
Und je mehr ich mich innerhalb der Art von Diskussion bewege, die immer breitgetreten wird, wie progressiv man sich auch dabei fühlt, desto mehr halte ich das Ganze am Laufen, künstliches Aufregen, künstliches Sinnieren, künstliche Kommunikation, künstlicher Pessimismus. Was wir brauchen ist nicht kühles Drüberstehen, sondern verzweifelter Zorn und Rebellion, und zwar in ihrer authentischen Ausgabe. Was wir brauchen ist nicht Wissen, sondern Fragen, und zwar Fragen, die die Dämlichkeit der öffentlichen Medien und der Diskussion zur Schau stellen können. Und was man dafür braucht, ist Optimismus, verzweifelter Optimismus - der Pessimist hat sich nämlich schon mit dem Stand der Dinge abgefunden.
__________________ Ich vermag natürlich besser zu dichten, als wie's hier geschieht. Ich spare mich für später auf. |
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