Antwort auf: Re:Achtung Text. von Khytomer

Farman
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>Ich glaube nicht das ich Bosbachs rhetorischen Fertigkeiten aufgesessen bin. Er vertritt oft Meinungen die mit meinen übereinanderstimmen, und verfügt über einen allgemeinen Durchblick den ich bewundere. Ihn als ein Arschloch zu bezeichnen ist irgendwo noch schlimmer als ihn als stumpfes Instrument zur Interessenvertretung  der CDU/CSU zu schimpfen.

Immerhin hab ich gesagt, er sei ein Funke Authentizität und ein Arschloch, das reden kann, und das war definitiv ein Kompliment. Mit "reden können" meine ich nicht rhetorisch einlullen können (was ich vielleicht hätte erklären müssen), sondern argumentativ transparent und klar einem Gespräch eine wichtige Note zu verleihen. Wenn Bosbach in einer Sendung ist, dann steigt mein Interesse um das doppelte, und wenn er redet, bin ich gefesselt. Neben Michel Friedmann wäre er derjenige, mit dem ich mich am liebsten streiten würde. Dass du das schlimm findest, dass ich ihn nunmal für ein Arschloch halte wegen Ansichten, die mich sauer machen, das ist natürlich deine Sache, denn meine persönliche politische Ansicht ist mein gutes Recht. Jemand, der bei der Frage nach Religionsfreiheit in einer Demokratie energisch darauf verweist, dass es in islamischen Ländern keine Religionsfreiheit gibt (und Jubelrufe en masse dafür erntet), und der nicht Forenuser eines Playstationforums sondern Politiker mit Verantwortung ist, den nenne ich ein verdammtes Arschloch (um ein Beispiel zu nennen). Das schlimm zu finden sei dir überlassen, das ist natürlich dein gutes Recht.

>Interessante Feststellung. Für mich heiligt der Zweck hier die Mittel.

Wahrscheinlich weil wir beide da verschiedene Zwecke und verschiedene Mittel sehen.

>Dieses "moralische Verbrechen", wie du es weiter unten beschrieben hast, habe ich nicht gesehen. Wäs hättest du denn als Antwort des Wirtschaftstypen erwartet? Hätte es dir Schadenfreude bereitet, wie er schweigend in die Runde und dumm aus der Wäsche geschaut hätte?

Überhaupt nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich nicht missverstehe, aber es scheint, als würdest auch du eher in die Richtung tendieren, dass es sich bei dieser simplen Frage um reine Rhetorik handelt, also um eine in eine Frage verpackte Anschuldigung und eine Bloßstellung des Gesprächspartners. Eben das ist sie nicht und deswegen hat eine solche Frage nichts mit Schadenfreude zu tun. In dem Moment, in dem sich ein Gespräch unbemerkt durch einen Automatismus in Bahnen lenkt, die schamlos werden, ist eine solche simple Frage ein Schrei nach Vernunft. Und es ist eine Frage: Wenn dieses Wirtschaftssystem denn seiner Natur nach so ist, dass es das Geld aller im Dienste einiger verpulvert, wie steht es denn dann genau um das Verhältnis Ethik und Wirtschaft? Es ist eine Reaktion, eine Nachfrage, die für einen, nein, für den relevanten Punkt sensibilisiert. Die Tatsache, dass diese allseits bekannte und eigentlich verinnerlichte Frage etwas getroffen hatte, hätte Startpunkt werden können für ein neues kollektives Bewusstsein der Diskussionspartner und der Zuschauer, für ein "Moment Mal..". Es geht nicht darum, das Plasberg den Mann hätte leiden lassen müssen, er hätte ihn antworten lassen müssen und das Leid in Kauf nehmen müssen, wenn seine Sendung denn "Hart aber Fair" heisst (Und es kam mehr als einmal vor, dass seine Gäste vglw. irrational angegriffen wurden). Der Vorwurf der Schadenfreude ist da doch relativ grotesk?
Plasberg hat da gezeigt, dass er in diesem Gespräch ein Katalysator war mit dem falschen und dem destruktivsten Effekt, denn er hat den Moment der Wahrheit schlicht verpuffen lassen. Ich akzeptiere kaum, dass so etwas eine unwichtige Kleinigkeit ist, es geht da um eine Fernsehsendung, um öffentliches Bewusstsein, um öffentliche Moral, und darüber muss gestritten und reflektiert werden.

>Also sind alle Kriminellen psyschisch krank, mehr oder weniger, je nach Schwere ihrer Straftat.

Das war nicht die von mir beabsichtigte Schlussfolgerung und ich bin auch nicht der Ansicht, dass das die logische Schlussfolgerung sei. Ich sage, mit einer Waffe auf Menschen zu schießen, also, töten zu wollen, sei nicht der Ausdruck von Unzufriedenheit darüber, dass in der Gesellschaft Menschen unterdrückt werden. Ich sage, dass das Herstellen einer einwandfreien Kausalität zwischen dem Einen und dem Anderen völlig verrückt ist, und ich glaube kaum, dass du da anderer Ansicht bist. Wenn ja, lass diesbezüglich bitte, das meine ich aufrichtig und nicht arrogant, die Gedanken kreisen. Aber ich kann es mir nicht vorstellen.
Wenn ich diese Kausalität akzeptiere kann ich gleich zur Waffe greifen. Auf diese Art und Weise Ursache und Wirkung zu definieren, also völlig abstrakt Dinge völlig verschiedener Natur miteinander zu verbinden, das hat, so ist es soweit ich weiß auch von Ärzten definiert, in der Tat was mit geistiger Krankheit zu tun, ob es die Krankheit eines Einzelnen ist oder die einer Millionen, die den Amokläufer auf diese Weise erklären, ist dabei völlig schnuppe. Wenn ich sage, dass das eine in einem schwer definierbaren, durch Fragen, durch Hineindenken und durch Hineinfühlen (ausgelöst am besten durch eine zornige Unzufriedenheit mit dem Stand der Dinge) erkennbaren Gesamtkontext in einer bestimmten konkreteren Form mit dem anderen zusammenhängt, mit Umwegen und Abzweigungen, und ohne eine auch nur annähernd endgültige formelhafte Art (und das zu betonen ist wichtig!), was du ganz bestimmt (und hoffentlich!), eher meinst, dann ist das etwas völlig anderes.

>Eben nicht. Weil wir entweder überhaupt nicht erst dazu erzogen worden sind, über so etwas erst nachzudenken oder gefestigt genug sind, es niemals zu tun. Wenn er keine Gründe gehabt hat, warum hat er dann 16 Menschen getötet?

In dieser Art und Weise der Interpretation des Satzes "Ich habe meine Gründe" (und es wird tatsächlich oft so interpretiert), verlieren die sogenannten "Gründe" ihre komplette Existenzberechtigung. Wenn ich sage "meine Gründe" in Bezug auf etwas, was ich mache, dann stelle ich dadurch einen von mir gültig erklärten kausalen Zusammenhang auf. Ein Berufen auf eine totale Subjektivität bringt da wenig, dann können wir uns, wie bereits etwas aufdringlich betont, gegenseitig umbringen. Wenn ich von einem "Grund" spreche, dann meine ich das genaue Gegenteil von Willkür, sonst ist es ja kein Grund. Ich kann nicht meine Gründe haben, Unschuldige zu töten, weil es dafür keine Gründe gibt, die ich kausal gültig machen könnte. Wie oben gesagt: Mein Grund für das Töten anderer kann nicht sein, dass ich ausgegrenzt wurde, weil das Töten anderer mit meinem Ausgegrenzt-Sein nichts zu tun hat. Kann man diese Wahrheit umdrehen, nur weil ein Amokläufer uns seine persönliche Auffassung von Ursache und Wirkung zujubeln will? Es mag kleinlich erscheinen, ich mag mich dabei bei dir unbeliebt machen, was ich zutiefst bedaure, aber zwischen dem Satz "Es existieren Gründe, dass es so gekommen ist" und "Der Amokläufer hatte seine Gründe" gibt es einen Unterschied von universaler Relevanz. Es sind nunmal zwei verschiedene Sätze, an derartigen Unterscheidungen liegt meiner Ansicht nach alles. "Der Amokläufer hatte seine Gründe" ist eine Rechtfertigung.

>Ach er war psyschisch krank, ja dann ist ja gut. Das sind ja die allerwenigsten Leute. Hab ich das Konstrukt meiner Unfehlbarkeit und der meiner Familie/Land/Menschheit nochmal gerettet. Hab ich den Täter nochmal entfremden können. Und wenn er überlebt hätte, hätten wir wohl wieder die Todesstrafe einführen müssen, um unter die ganze Sache einen Schlusstrich zu ziehen.

Wenn ich bislang vorwerfend oder moralisierend war, dann ist das der Punkt, in dem du unfair wirst. Ich muss so ehrlich sein und zugeben, dass ein Teil meines obigen Romans definitiv auch als eine Umkehrversion zu einigen deiner Ansichten gedacht war, also als Hinweis auf eine Art, es anders wahrzunehmen anhand eines, meines, in dieser Hinsicht sehr verschiedenen Gemüts. Aber in der endgültigen Form war einiges von dem eher allgemein, was du vielleicht mit einigem Recht als konkreten Angriff auf dich interpretiert hast. Aber das war es im Grunde nicht unbedingt.
Du solltest nicht mir nichts dir nichts in meine Aussagen eine solche simpel gestrickte bürgerliche Moral hineinlegen, da der entscheidende, abschließende Abschnitt von dir zudem nicht zitiert wurde. Ich sage, genau wie du es tust, dass es ungeheuerliche Formen von Kondition gibt, und diese Formen der Kondition bedürfen mehr als eine Zusammenfassung von Abstraktheiten. Mein Palaber über die Sache mit der Macht hat Implikationen, die jeden Pessimisten feucht machen würden. Ich könnte mit dir auch jetzt darüber streiten, ob deine Aussage, dass jeder für alles seine Gründe hat, nicht doch ein esoterisch angehauchter Optimismus ist.
Ich sage, der Amokläufer, eben weil er nicht "seine" Gründe hat sondern von Gründen dominiert wird, bestätigt uns eher als dass er uns bekämpft. Wenn ich mich einmal dabei geil fühle, der Stärkere zu sein, und deswegen sogar meinen Tod in Kauf nehme, dann liegt das an einem in mir konditionierten Prinzip des Stärkeren. Um aber genau das zu bekämpfen, muss ich betonen, dass wir immer "unsere" Gründe haben müssen, dass an der Unterscheidung zwischen Konditionierung und der Rechtfertigung die Welt liegt.

>Was befürchtest du eigentlich? Das wir hier naiv seine Tat legitimieren? Oder dass wir/ich genau das durch meinen Pessimismus tue? Ich bin Realist, und weiss dass es nochmal passieren wird. Lösungsansätze habe ich gegeben, obwohl ich weder die Verpflichtung dazu habe (dem wirst du widersprechen), noch über meine Funktion als Forumbenutzer eine einflusstragende Rolle habe. Und die hast du auch nicht, also moralisier hier etwas gemässigter.

Wenn wir darüber reden, ernsthaft reden, und das ist ja immerhin geschehen, dann sollten wir nicht zurückscheuen, richtig darüber zu reden, und wenn ich erstmal soweit gehen würde, Lösungsansätze zu geben, dann darfst du mich und meine Lösungsansätze zerhackstückeln wie ein Stück rohes Fleisch, wenn du es für notwendig erachtest. Sonst können wir auch auf halbem Wege schlapp machen. Wenn schon, denn schon. Ich glaube kaum, dass du für deine Gedanken Anerkennung willst, so wie ich dich einschätze und kenne, aber wenn, dann hast du sie definitiv dadurch bekommen, dass ich sie ernst genommen habe. Ich finde, da liegt die wichtigste Form von Respekt.
Wenn es keinen Einfluss hat, wenn unser Gerede überhaupt nichts zur Sache tut, warum darüber reden? Es geht mir nicht darum, deinen Vorwurf zu entkräften, ich würde entfesselt und schamlos moralisieren. Das kann gut sein, das darf man so sehen, aber oberflächlich gesehen über das Ziel hinauszuschießen ist nicht kategorisch das gleiche wie sich moralisierend aus dem Fenster lehnen.

>Tot ist tot. Gesetz des Stärkeren? Damit völlig entkräftet.

Durchaus nicht. Kennst du Stalin oder kennst du seine Opfer? Wird die Geschichte nicht von den sogenannten Gewinnern geschrieben? Will nicht vielleicht gerade der Amokläufer nicht als Verlierer enden sondern seine eigene Geschichte schreiben, über den Tod hinaus? Liefern nicht gerade unsere Medien die Vorlage für solche Hierarchien? Geht es ihm nicht um die Gegenüberstellung von EINEM und VIELEN, seine Singularität, diese Form von Ruhm, die ihm verwehrt blieb? Und wenn ich gerade seiner "Geschichte", die einer Tat als notwendige Folge von einer Ungerechtigkeit, glaube, verbreite ich damit nicht das Recht des Stärkeren?

>Es braucht das eine wie das andere: Emotionen und kühle Distanz. Ich entscheide mich für letzteres, weil mir Zorn regelrecht ein Fremdwort ist.

Gerade da sind wir unterschiedliche Gemüter, da mir mit jedem Lebensjahr die "kühle Distanz" eher zum Fremdwort wird.

(Diese Nachricht wurde von Farman am 14.03.2009 02:13 editiert.)

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Ich vermag natürlich besser zu dichten, als wie's hier geschieht. Ich spare mich für später auf.
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